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Die „Verschönerung“ der Stadt als bürgerliches Projekt

  • von

von Andreas Oberhofer

Der Zusammenschluss von Bürgern zu Verschönerungsvereinen, wie auch die Gründung vieler anderer Vereine, erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Hochblüte. Vereinsgründungen waren dabei vor allem ein städtisches Phänomen, das von der wachsenden Bedeutung und dem Erstarken der Bürgerschaft ebenso zeugt wie von neu aufkommenden Freizeitbedürfnissen.

Mehrbild-Ansicht von Bruneck, H. Metz Kunst-Verlags Anstalt Tübingen, um 1900. Stadtarchiv Bruneck, Sammlung Weissteiner.

Der Brunecker Stadtverschönerungsverein wählte im Jahr 1870 erstmals Obmann und Ausschuss. Die Anerkennung durch die Statthalterei Innsbruck zog sich einige Jahre hin. Erst 1874 wurde das offizielle Gründungsdokument ausgestellt. 1870 wurde auch in Hall in Tirol ein Verschönerungsverein ins Leben gerufen. Offenbar war man hier über die Brunecker Gründung informiert und ahmte sie nach.1www.hall-wattens.at/de/150-jahre-tourismusgeschichte-in-hall-in-tirol-und-der-region.html (eingesehen am 13.10.2020) Relativ früh entstanden auch die Verschönerungsvereine von Bregenz (1871), Imst (1873) und Kufstein (1874). 1881 folgte die Landeshauptstadt Innsbruck. Die Reise- und Fremdenzeitung für Tirol und Vorarlberg konnte 1902 vermelden, dass es in Deutschtirol und Vorarlberg nicht weniger als hundert Verschönerungsvereine gebe.2Hundert Verschönerungsvereine in Deutsch-Tirol und Vorarlberg, in: Reise- und Fremdenzeitung für Tirol und Vorarlberg, 4. Jg. (1902), Nr. 3, S. 9 Auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland gilt der Osnabrücker Verschönerungsverein (1835) als erste Gründung. Im italienischsprachigen Raum setzte die Entwicklung von Pro-Loco-Vereinen etwas zeitverzögert ein, die erste entsprechende Gruppierung konstituierte sich 1881 in Pieve Tesino im Valsugana, das damals noch zur Habsburgermonarchie gehörte.

Verschönerungsvereine setzten sich in erster Linie für die wortwörtliche „Verschönerung“ von Städten – und später auch Dörfern – ein. Vertreter des Bürgertums taten sich zusammen, um in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung freiraumplanerisch tätig zu werden, was zu einer bemerkenswerten Vermischung öffentlicher und privater Interessen führte. Man gestaltete Parks, Wälder und andere Grünflächen, legte Wanderwege an, errichtete Quellfassungen und Brunnen sowie Ruhe- und Aussichtspunkte, stellte Bänke und Pavillons auf, pflanzte Bäume und Sträucher und schuf bisweilen auch Möglichkeiten für sportliche Betätigung im Freien. In Bruneck errichtete der Verschönerungsverein etwa einen „Lawn-Tennisplatz“ (zum Spielen auf Rasen) und war mit diesem Angebot am Puls der Zeit. Auch der Bau der sogenannten Kaiserwarte, eines hölzernen Aussichtsturms am Kühbergl, verdankte sich dem Engagement des städtischen Verschönerungsvereins und dessen rührigen Obmanns Johann Georg Mahl.

Aufruf an die Sommergäste, für den Stadtverschönerungsverein zu spenden. Einblattdruck, um 1895. Druckerei Mahl, Bruneck. Privatbesitz Philipp Egger, Bruneck.

Die Geldmittel für die Arbeit der Vereine wurden zum geringeren Teil aus den Mitgliedsbeiträgen bestritten. Größere Summen steuerten die Gemeindeverwaltungen (die sich nicht selten auch personell mit den Ausschüssen der Vereine überschnitten) und privat Spendende bei. Ein Aufruf des Brunecker Verschönerungsvereins aus den 1890er Jahren bringt zum Ausdruck, dass auch die „P.T. [Kürzel für pleno titulo; Höflichkeitsfloskel] Sommergäste“, als Nutznießer der Anlagen, um finanzielle Zuwendungen gebeten wurden. Die Tätigkeiten des Vereins zielten durchaus auch auf einen beginnenden Tourismus ab, der durch den Anschluss des Pustertals an das europäische Eisenbahnnetz einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt hatte. Auch das belegt dieses Blatt. Überhaupt wirft der Text ein Schlaglicht auf die Programmatik des Verschönerungsvereins: „Alljährlich […] bedarf es neuer Anstrengung und Opfer, um die angelegten Wege, die errichteten Pavillons, Tische und Bänke vor der Zerstörungswuth der Elemente, bösen Jahreszeiten, Thiere und Buben zu schützen.“

Dem Brunecker Verein ging es in erster Linie um eine Verschönerung des Grüngürtels um die Stadt. Er ließ den Wald aufforsten, Wege anlegen, Trockenmauern, Quellfassungen und Bänke errichten, bewarb Gasthäuser als Ziele für den Sonntagsausflug und förderte damit indirekt deren Aufrüstung für eine bürgerliche Klientel. Die Druckerei von Johann Georg Mahl und später dessen Sohn Hermann bot die ideale Möglichkeit für die Herstellung von Werbeerzeugnissen wie Karten und Broschüren, wodurch die Attraktionen rasch bekannt gemacht werden konnten. Die Druckerei Mahl produzierte seit 1874 sogar Wanderführer, die Einheimischen und Gästen für die Erschließung einer neu entstehenden Freizeitlandschaft handliche Hilfestellung boten.

Entsprechend seinem wirtschaftlichen Erfolg sah sich das selbstbewusste Bürgertum dem Wohl seiner Stadt und deren Einwohnerinnen und Einwohner verpflichtet, was sich im programmatischen Motto ausdrückt, das Johann Georg Mahl in seinen Vereins-Notizen festhielt: „Zur Ehre, zum Wohle und zur Annehmlichkeit der Bewohner Brunecks.“3Mahl, Johann Georg: Vereins-Notizen 1870-1878 (Manuskript), Archiv Mahl – dipdruck, S. [38] Man bemühte sich, die Stadt und ihre Umgebung am eigenen Wohlstand teilhaben zu lassen. Zugleich schuf man für sich, seine Familie, Bekannten und Freunde standesgemäße Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Die Tendenz der scheinbar selbstlosen Bürger und Unternehmer, sich in der „verschönerten“ Natur durch Gedenktafeln, Statuen und Büsten zu verewigen und somit für die eigene Memoria zu sorgen, spielte im kleinen Bruneck keine Rolle. Dieses Fehlen von Denkmälern ist wohl damit zu erklären, dass man sich kannte und wusste, wem die Stadtverschönerung zu verdanken war. Zudem engagierte sich mehr oder weniger das gesamte Bürgertum in Vereinen, sodass die Verantwortung für das kulturelle Leben der Stadt gleichmäßig auf viele Schultern verteilt war. Dennoch ragte einer heraus: 1900 stiftete der Verschönerungsverein für Johann Georg Mahl als Gründer und langjährigen Obmann eine Gedenktafel samt Zierbrunnen, die am zentralen Ort aller Verschönerungsbemühungen, am Aufgang zu den Parkanlagen des Kühbergls, angebracht wurde.

Der „Lawn-Tennisplatz“ des Stadtverschönerungsvereins in Bruneck. Fotografie von Hermann Mahl, um 1905. Archiv Mahl – dipdruck.

Mit dem Ersten Weltkrieg fanden die meisten Vereinstätigkeiten ein jähes Ende. Gerade das südliche Tirol war durch die 1915 errichtete Dolomitenfront von den unmittelbaren Kriegs-ereignissen schwer betroffen. Am Brunecker Kühbergl wurde ein Soldatenfriedhof angelegt, der sich rasch mit Gräbern füllte.

Der vor 150 Jahren gegründete Stadtverschönerungsverein Bruneck war der früheste Zusammenschluss von Bürgern zum Zweck der Stadtverschönerung in Tirol. Von seinen Bemühungen, in der Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung Spazier- und Wandermöglichkeiten zu schaffen, profitieren wir noch heute, wenn auch die meisten Spuren seiner Tätigkeit verwischt sind. Der Verlauf vieler Wege ist noch erkennbar. Quellfassungen, Sitzbänke, Zäune und andere Möblierungen sind aber ebenso verschwunden wie die Wirtshäuser und Biergärten, die am Ende von Spaziergängen und Wanderungen zu Jause und Geselligkeit einluden. Allein zwei Pavillons am Kühbergl, einige Trockenmauern und der „Mahl-Brunnen“ künden vom erholungssuchenden und spazierenden Bürgertum, das sich an „Waldesschatten, Waldesduft und Waldesgrün“ sowie der „Bergnatur“ im Allgemeinen erfreute, wie es in der oben erwähnten Aufforderung an die Sommergäste blumig heißt.


* Dieser Text ist im Katalog „1870: Aufbruch ins Grün / Evasione nel Verde“ enthalten.


Beitragsbild: Erste Seite der gedruckten Statuten des Stadtverschönerungsvereins (Ausschnitt). Tiroler Landesarchiv, Statthalterei Tirol und Vorarlberg, Nr. 2578/1874: Verschönerungsverein Bruneck.