von Rudolf Tasser
Es war etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Fremdenverkehr das Pustertal erfasste und die ersten Kurorte entstanden. Die Jahrzehnte bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs brachten eine regelrechte Konjunktur, die allerdings anders verlief als der nach dem Zweiten Weltkrieg aufkeimende Massentourismus. Es kamen seinerzeit viel weniger Touristen und diese blieben oft über mehrere Wochen oder gar über mehrere Monate im selben Gasthof oder Hotel.
Der Pusterer Traum vom Fremdenverkehr
Der Fremdenverkehr brachte nicht nur Geld in die Kassen jener, die die neue wirtschaftliche Situation auszunützen imstande waren, sondern sorgte auch für die Umverteilung von Einkünften und Vermögen. Wer vom Transitverkehr
gut gelebt hatte, konnte jetzt in Schwierigkeiten geraten. Andere wieder, denen die Umstellung auf den neuen Wirtschaftszweig gelang, kamen zu Einkünften in ungeahnter Höhe. Ein Musterbeispiel für Letzteres war der von Emma Hellenstainer geführte Gasthof Schwarzer Adler in Niederdorf. Dieses Dorf war so etwas wie der touristische Vorreiter des Pustertals.
Aktionen für den Fremdenverkehr
Besonders wohlhabende Gäste hielten sich nicht selten das ganze Jahr über auf Erholung in Hotels auf. Sie waren im Winter in Meran, im Frühjahr in einer Ortschaft in mittlerer Höhe, etwa in Mühlbach, und im Sommer im Hochpustertal. Die touristische Werbung lief über die Schriftstellerschiene. So nahmen vor allem Ludwig Steub (Aichach, Bayern) und Heinrich Noë (München) auf das Pustertal Bezug. Es kamen aber auch Führer heraus, die nur eine Ortschaft behandelten, so etwa der über Niederdorf von Josef Rabl (Wien) oder der über Sexten von Hans Biendl (Wien). Von Anfang an war die Generaldirektion der Südbahn-Gesellschaft, welche die Eisenbahnlinie durch das Pustertal betrieb, in ihrem eigensten Interesse bestrebt, den Fremdenverkehr möglichst zu fördern. So sollten vor allem reiche Wienerinnen und Wiener, Triestinerinnen und Triestiner durch gute Schnellzugverbindungen ins Hochpustertal gebracht werden.
Der Deutsche und Österreichische Alpenverein
Eine Möglichkeit, die Berge zu erschließen, war der Bau von Schutzhütten und das Anlegen und die Markierung von Wegen. 1877 wurde die Sektion Hochpustertal des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins gegründet. Sie hatte im Jahr 1879 41 und im Jahr 1883 61 Mitglieder. Trotz der geringen Mitgliederzahl erzielte der Verein eine bedeutende Wirkung, was vor allem einzelnen, besonders engagierten Mitgliedern wie dem Niederdorfer Bürgermeister Jakob Traunsteiner oder Josef Anton Rohracher, dem Besitzer des Hotels Germania in Neu-Toblach, zu verdanken war. Sehr aktiv waren auch die 1880 gegründete Sektion Sand in Taufers und die sieben Jahre später ins Leben gerufene Sektion Ladinia in Corvara. Damals entstand der Berufsstand der Bergführer. Auch im Pustertal bildeten sich im Laufe der Zeit regelrechte Bergführerdynastien heraus, weil der Beruf von einer Generation auf die nächste überging. Im Jahr 1902 wurde in Sand in Taufers ein eigener Bergführerverein gegründet.
Die Werbung für den Fremdenverkehr
Was die Werbung anging, beschränkte man sich relativ lange auf das, was man heute als Mundpropaganda versteht. Dann aber intensivierte man die Werbung schon vor dem Ersten Weltkrieg und legte vor allem auf die architektonische Gestaltung der Fremdenverkehrsstrukturen Wert. Ein besonders starker Werbeeffekt ging von dem im Jahr 1899 eröffneten Hotel am Pragser Wildsee aus und von mehreren Gasthäusern in Mühlbach, Niederdorf und in verschiedenen Pustertaler Bädern. Die ersten Gäste, welche als „Fremde“ ins Pustertal kamen, waren Einheimische aus der Gegend von Bozen und Meran, die auf der Flucht vor der dort herrschenden Sommerhitze waren. Die zeitlich darauffolgende größere Gruppe bildeten Leute aus weiteren Städten der k.k. Monarchie, aus München und aus anderen reichsdeutschen Städten. Der Straßenverkehr war ein Abbild von dem, was sich in den nobleren Fremdenverkehrsorten tat. Da fuhren von Pferden gezogene Stellwagen und Kutschen verschiedenen Formats, die teilweise von den Hotels zur Verfügung gestellt wurden. Die Straße nach Prags war solchen Fahrzeugen vorbehalten. Autos durften hier keine fahren, es sei denn, es handelte sich um das Auto eines Erzherzogs. Die Kutscher beherrschten die Land- und Reichsstraßen. Sie klagten über die immer größer werdende Zahl von Radfahrenden, die den Verkehr auf den Straßen behinderten. Die Zeitungen schrieben von „Autoraserei“ und prognostizierten diesbezüglich noch schlimmere Verhältnisse. Schon vor 1914 gab es Auto-Omnibusse. So fuhr ab dem Jahr 1900 ein Postauto mit zwölf Sitzen durch das Tauferer Tal.
Die Position der politischen Parteien Tirols gegen den Fremdenverkehr
Die großen politischen Lager Tirols, die Konservativen, die Liberalen und die Christlich-Sozialen, nahmen zum Fremdenverkehr unterschiedliche Positionen ein. Die Konservativen sahen die Gefahr, dass der Fremdenverkehr eine Monokultur produzieren würde, die nur auf Gewinn aus sei. Probleme ergaben sich auch zwischen protestantischen Gästen und streng katholischen Tirolerinnen und Tirolern. Das führte dazu, dass der Brixner Fürstbischof Simon Aichner in einem 1896 erschienenen Hirtenbrief auf die negativen Aspekte des Fremdenverkehrs hinwies, unter anderem auch darauf, dass die an den Sonntagen angesetzten Bergtouren den Besuch der Sonntagsmesse unmöglich machen würden. Die Liberalen ließen sich von der positiven Einschätzung des Fremdenverkehrs nicht
abbringen. Sie sahen in ihm die einzig wirklich ergiebige Einnahmequelle, für die es mehr zu tun gelte. Die Tiroler Christlich-Sozialen waren keineswegs wirtschaftsfeindlich und sahen folglich auch die Entwicklung des Fremdenverkehrs positiv.
* Dieser Text ist im Katalog „1870: Aufbruch ins Grün / Evasione nel Verde“ enthalten.
Beitragsbild: „Weg u. Distanzkarten von Tirol”, Nr. 10: Dolomiten. Entwurf von J. Georg Thöni, Verlag von Jos. Grissemann in Imst, Lithographische Anstalt von K. Redlich in Innsbruck. 2. Auflage um 1900. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, K X/17 (Ausschnitt).